Thorsten
Weckherlin

thorsten@weckherlin.de
Biographie

Biographie

Thorsten Weckherlin, 1962 geboren, studierte in seiner Heimatstadt Hamburg Literaturwissenschaft und Geschichte. Im Alter von zwanzig Jahren begann er für das Theater zu arbeiten – als Theaterkritiker.

1993 ging er als Praktikant ans Berliner Ensemble zu Peter Zadek. Ein Jahr später baute er das Berliner-Ensemble-Tourneetheater auf, das sich als „Theater im Dunstkreis brandenburgischer Wirtshausbühnen“ verstand. Es folgten erste Inszenierungen und freie Theaterarbeit in den damals neuen Bundesländern.

Von 1998 bis 2001 war Thorsten Weckherlin Leitungsmitglied am Schauspiel Leipzig. 2002 produzierte er in Berlin Mozarts Oper „Entführung aus dem Serail“ unter der Regie von Altmeister George Tabori, die in einer Kirche, einer Synagoge und einem muslimischen Gebetshaus gezeigt wurde. Nach einem Abstecher nach Freiburg, wo er als Leitungsmitglied in der Intendanz Amélie Niermeyers verantwortlich für das Marketing war, leitete Thorsten Weckherlin seit 2004 zehn Jahre lang das Landestheater Burghofbühne Dinslaken. Hier erarbeitete er über 20 eigene Inszenierungen, darunter Werke von Brecht, Kroetz, Shakespeare, Ayckbourn und Dürrenmatt.

Seit der Spielzeit 14/15 ist Thorsten Weckherlin Intendant am Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen (LTT). Den „kulturpolitischen Auftrag, über Land zu ziehen“, findet er spannend. „Das Publikum ist so herrlich heterogen – in einem Fall aber gleich: es sehnt sich nach guten Stücken, nach Erzählungen.“

Thorsten Weckherlin ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Mit Boulevard
gegen Dallas

Mit Boulevard
gegen Dallas

Das Theater von Peter Zadek
als kritisches Vergnügen

Kunst und Anspruch des Theaters in der Bundesrepublik der neunziger Jahre. In diesem Buch ist von dem Regisseur Peter Zadek die Rede, der das Theater in West-Deutschland seit dem Kriegsende geprägt hat. Zadek diente nicht dem deutschen Theater, wie er es vorfand. Er hat weder Geschmack noch Politik des Bildungspublikums bedient.

„Mit Boulevard gegen Dallas“ beschreibt Zadeks Lust am Lustspiel, am „Boulevard“, und somit seinen Boulevard-Begriff, dem mit dem deutschen Kategoriedenken (Komödie – Tragödie – Unernst – Ernst) nicht beizukommen ist. Das Buch ist eine Annäherung an Zadeks allgemeines Theater-Verständnis, festgemacht an seine Inszenierung von Alan Ayckbourns Boulevard-Thriller „Ab jetzt“ (1989). Ob der Regisseur dabei 'nur' den Boulevard ästhetisiert oder eine neue Ästhetik schafft, wird hier beleuchtet.

Leseprobe
Kontakt

Leseprobe

Hätte sich Peter Zadek Ende der fünfziger Jahre nicht dazu entschlossen, aus London, wohin er 1933 mit den Eltern emigriert war, nach Deutschland zurückzukommen, wer weiß, die deutsche Theaterlandschaft sähe heute vielleicht noch trauriger aus, als sie es ohnehin schon ist.
...

Peter Zadeks Inszenierungen in Ulm, Bremen, Hamburg, Berlin haben entscheidend dazu beigetragen, das deutsche Theater zu entmiefen, mehr Leben und Wahrhaftigkeit auf die Bühne zu bringen und viele Besucher von ihren schöngeistigen Blähungen zu befreien, von denen sie, sobald sie einen der „Musentempel“ betraten, befallen wurden.
...

Der Zukunftsschwank „Ab jetzt“ zeigt diese Welt: Der Mensch holt sich per Video-Monitor die vermeintliche Wirklichkeit ins Haus. Doch wie im Dialog immer etwas offen bleibt, so greifen auch in der Wahrnehmung gemeinte und gegebene Wirklichkeit nicht fugenlos ineinander. Die Assimilation von Mensch und Technik – ein anderer und wichtiger Punkt – führt Zadek mit seiner Inszenierung ad absurdum. Die Maschine hat den Menschen überholt! Glaubte man noch früher, daß sich aus dieser Assimilation produktive Möglichkeiten schöpfen ließen, so stolpert der 'Künstler' Jerome hilflos durch eine Welt des ästhetischen Scheins. Der Zuschauer mittendrin. Durch die Schema-Brüche gelingt es Zadek, Unterscheidungsfähigkeit zu bewahren. Und das bei einem Konsumprodukt, wie es das Boulevard-Theater nun einmal ist. Die gesendeten 'Botschaften', genauer: das, was „Ab jetzt“ aufzeigt – Anti-Künstler-Genie, Roboter, feministische Bürgerwehr, Sexualität – vermag der Zuschauer, in positive Anreize aufzulösen. Verzerrungen auf der Bühne, Spiegelungen und ähnliches bedeuten indes gar keine Sinnestäuschung, denn wir beziehen ohne weiteres die Wahrnehmungsumstände mit ein, und sie lassen in solchen Fällen genau das erwarten, was wir sehen. Auch Illusionen haben es mit einer allgemeinen zugänglichen Wirklichkeit zu tun, sie sind erzeugbar und – darauf kommt es an – aber auch unter Umständen vermeidbar.
...

Da Menschen sich verändern, verändert sich alles um sie. Wer am Zuschauer vorbeispielt, hat ausgespielt! Die Leute gehen ins Theater, um sich zu unterhalten, um sich zu erheben, um eventuell weinen zu können oder um irgend etwas zu erfahren.
...

Indem Zadek die Kultur demokratisiert, gefährdet er – ganz bewußt und mit einem Lächeln – den Status der Kultur-Elite. Daran hat er Spaß, tief drückt er den Stachel ins von Selbstgefälligkeit, Heuchelei und einer bis zur Langeweile polierten Ästhetik fett und schlaff gewordene Fleisch.
...

Peter Zadek irritiert, provoziert und schockiert. Das Unerwartete in seinen Inszenierungen zwingt das Publikum, sich bewußt dafür zu entscheiden, was es denkt. Anti-bürgerliches, anti-elitäres und anti-langweiliges Theater macht der Regisseur, um es lebendig zu halten, um es zu retten. Seine Theater-Ästhetik macht vor dem Boulevard nicht halt, darf es auch gar nicht, denn Zadek will das Massen-Publikum. „Theater ist Kommunikation zwischen Publikum und Schauspielern, Kontakt, Berührung, Spannung, gemeinsames Erlebnis, gemeinsame Reise ins Ungewisse.“ Das klingt so selbstverständlich, und doch ruft es nörgelnde Kultur-Kritiker auf den Plan, weil Zadek dabei unterhält. Unterhaltung aber ist nichts für Leute, die ihre Sinnlichkeit unterdrücken, die vorurteilsvoll das Theater der Massen und somit die Massenkultur ablehnen. Scheinbar unverrückbare Normen des Ästhetischen, derer sie sich bedienen, verhindern eine Analyse der Unterhaltung. Stattdessen wird sofort negiert. Ästhetische Differenzierungen, die ausschließlich Prädikate wie 'gut' und 'schlecht' kennen, sind aber unbrauchbar geworden. Genauso unsinnig ist es, der Unterhaltung als Antithese Information gegenüberzustellen. Es liegt hier kein echtes Gegensatzpaar vor.
...

Natürlich ist Zadek nicht nur der Entertainer für die Kneipenbesucher, sondern der Theater-Star für das Bildungsbürgertum. Das lockte er durch seine „Ab jetzt“-Inszenierung sogar ins Privat-Theater. Jenes will beim Magier Zadek, der nicht nur eine untrügliche Witterung für Wahrnehmungen hat, sondern auch für die trivialen Aspekte, Wunder erleben, sich überraschen lassen und alle Erwartungen enttäuscht sehen. Da Peter Zadek es in der Tat vermag, Theater für alle zu machen, revolutioniert er das Theater. Und was man unter einer Theater-Revolution zu verstehen hat, ist klar: Doch wohl eine Art, Theater zu spielen, wie sie bis zu einem bestimmten Punkt nicht für möglich gehalten wurde, sei es, weil man sie für wirkungslos, sei es, weil man sie für sinnlos, für politisch, moralisch und geschmacklich unerträglich hielt. Kurz, eine Theater-Revolution ist der gelungene Versuch, etwas durchzusetzen, von dem man glaubt, es sei ohne Wirkung auf die Zuschauer, von dem sich aber herausstellt, daß die Wirkung nicht ausbleibt, ja, sich oft zu Ausmaßen steigert, die man vordem auf dem Theater nicht erlebt hat. Denn Theater hat mit Menschen zu tun – mit Menschen als Zuschauern, mit Menschen als Darstellern, als Autoren, als Regisseuren. Und da Menschen sich verändern, verändert sich alles um sie.
...

Kontakt

Kontakt

thorsten@weckherlin.de

© 2014 Copyright Thorsten Weckherlin, Wolfgang-Stock-Straße 24 in 72076 Tübingen